Die denkmalgeschützte Gigelberghalle hat in ihrer 129-jährigen Geschichte schon allerhand erlebt. Während des Ersten Weltkrieges, 1914 bis 1918, wurde die Halle als Lazarett für verletzte Soldaten benutzt.

Gigelberghalle als Lazarett im Ersten Weltkrieg (Mit freundlicher Unterstützung und Genehmigung durch das Stadtarchiv Biberach)

1933, im letzten Wahlkampf der Weimarer Republik, sprach hier der ehemalige Reichskanzler Heinrich Brüning zu den Biberacher Bürgern. Ein damals verzweifelter Versuch, die Massen zu mobilisieren und die Wahl für die demokratische Zentrums-Partei doch noch zu gewinnen. Allerdings zu spät. Hitler war zu diesem Zeitpunkt von dem reaktionären Reichspräsidenten Hindenburg schon zum Reichskanzler ernannt worden. Er konnte mit der Macht seines Amtes die Weimarer Republik bereits sabotieren. Wie die anschließende Reichstagswahl ausging, und welche katastrophalen Folgen sich für Deutschland und der Welt ergaben, ist bekannt.

Nun, etwas mehr als 91 Jahre später: Freitag, 22. März 2024: Die Gigelberghalle gleicht einem Hochsicherheitstrakt.

Achtung Kontrolle!

Grund hierfür: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Stellvertreter, Innenminister Thomas Strobl (CDU), haben sich angekündigt.

Sie folgen einer Einladung von Landrat Mario Glaser und Oberbürgermeister Norbert Zeidler (beide parteilos). Dem Landrat und dem OB ist es wichtig, die Geschehnisse rund um den abgesagten politischen Aschermittwoch der Grünen aufzuarbeiten. Am 14. Februar war es bei der Stadthalle Biberach, im Vorfeld der Parteiveranstaltung der Grünen, zu teils auch gewalttätigen Protesten und Sachbeschädigungen gekommen. Mehrere Polizisten wurden leicht verletzt. Demonstranten ebenso. Wegen Sicherheitsbedenken hatten die Grünen daraufhin ihre Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Biberach und die Anfeindungen gegen die demokratisch gewählte Vertreter waren kurzzeitig Top Thema in der gesamten bundesdeutschen, überregionalen Presse und den Medien. OB Zeidler erklärte in einem Statement, "dass die Ereignisse vom 14. Februar für Biberach, aber auch für das Land, ein beschämendes und einschneidendes Ereignis markieren".

Zurück in die Gegenwart: Im Gegensatz zum Aschermittwoch ist die Polizei heute schon im Vorfeld stark präsent. Offensichtlich will sich die Polizei in Biberach nicht ein zweites Mal eine Blöße geben, und auf gar keinen Fall nur im Ansatz den Eindruck erwecken, vor einem Mob zu kapitulieren. Es wurde für Biberacher Verhältnisse ein Polizeiaufgebot aufgefahren, welches seinesgleichen sucht. Ein Hubschrauber knattert schon den ganzen Tag über Biberach. Polizeifahrzeuge en masse parken vor der Gigelberghalle. Massive Absperrgitter sind aufgebaut. Der Platz um die Halle ist weiträumig abgesperrt. Alle gewohnten Zugänge zum Gigelbergparkplatz sind gesperrt. An jedem normalerweise nutzbaren Zugang steht eine Gruppe grimmig dreinblickender Polizisten, die einen argwöhnisch beäugen, falls man ihnen zu nahe kommt. Einen Eingang auf das Gelände gibt es nur von der Jahnstrasse her. Wer von unten aus der Altstadt den Berg hochgekeucht kommt, hat Pech und muss erst einmal um den ganzen Block gehen.

Schon eine Stunde vor dem angekündigten Einlass hat sich an diesem Durchgang eine lange Schlange von Besuchern gebildet. Es kommt zu kurzzeitigen Irritationen, da in der letzten Pressemeldung der Stadt die Saalöffnung bereits um 17 Uhr angegeben wurde. So auch veröffentlicht in der Schwäbischen Zeitung, dem Wochenblatt und Biberach Kommunal. Das erweist sich allerdings als falsch. Die Polizisten, im direkten Gespräch nun doch auch echte Menschen, teilen freundlich mit: "Einlass ist wie ursprünglich angegeben und auf den Karten aufgedruckt. 17 Uhr 30. Und das bleibt auch so!" Was soll´s. Petrus meint es gut mit allen Wartenden und den Polizisten, die Sonne scheint, es herrschen milde Temperaturen, ein kurzes Schwätzchen mit Bekannten und weiteren Besuchern, die mehr und mehr eintreffen. Nicht alle sehen das so locker. Ein kräftiger Herr mit großem Fotoapparat um den Hals gehängt, regt sich lautstark auf.

Aber, schon verwunderlich: Kein Bauer, oder jemand der wie ein Demonstrant erscheinen könnte, ist zu sehen. Auch kein Traktor parkt in der Nähe. Was ist da los? Die Allgemeinverfügung, von der in Biberach anscheinend niemand weiß, wo sie überhaupt veröffentlicht wurde, und vor allem, keiner weiß was drin steht, zeigt wohl trotzdem abschreckende Wirkung. Man muss schon bezahlpflichtig Stuttgarter Zeitung lesen, um wenigstens ein bisschen mehr darüber zu erfahren. Insgesamt ist die Stimmung aber ruhig und entspannt in der abendlichen Sonne.

Um 17 Uhr 30 wird es dann lebendig. Mitarbeiter einer Security-Firma erscheinen. Die Polizisten treten ein paar Schritte zurück. Der Einlass beginnt. Nur wer eine Eintrittskarte vorweisen kann wird eingelassen. Diese musste zuvor beim Kartenservice der Stadt namentlich per Mail reserviert und im Rathaus abgeholt werden. Dabei wurde bereits die Identität des Abholers mit dem Personalausweis abgeglichen. Innerhalb kurzer Zeit waren alle Karten vergeben. Nun, beim Einlass, muss jeder erneut seinen Personalausweis vorzeigen. Die Security-Leute schauen genau hin. Taschen müssen geöffnet werden. Zum Teil werden die Besucher abgetastet. Große Taschen und Mäntel müssen in der Garderobe der Halle abgegeben werden. Schnell füllen sich die Sitzplätze der vorderen Hallenhälfte. Ganz ohne Gedränge und ohne Geschubse. Eigenartigerweise bleiben zahlreiche Stühle leer.

Links und rechts der Bühne stehen gut gebaute Männer mit Knopf im Ohr und ausgebeultem Jacket und behalten alles und jeden im Blick. Die Presse ist ebenfalls in beachtlicher Anzahl vertreten. Zahlreiche Fotografen und mehrere Fernsehteams sind unterwegs. Die Veranstaltung wird zudem live ins Internet übertragen. Dafür ist eine bemannte Videokamera mit beeindruckend großem Teleobjektiv auf einem Podest aufgebaut. Schade, dass dieser Livestream nicht im Nachhinein als Video im Netz angeschaut werden kann (Stand24.03.) - obwohl angekündigt.

Punkt 18 Uhr 30 spurtet Oberbürgermeister Norbert Zeidler ans Rednerpult und teilt mit, dass der Ministerpräsident sich um zirka 10 Minuten verspätet. In den nächsten Minuten ist das Knattern eines Hubschraubers zu hören. Dann scheint flackerndes Blaulicht durch die Eingangstüre. Alle Presseleute tummeln sich vor der dem Eingangsbereich. Die Männer mit Knopf im Ohr, links und rechts von der Bühne, werden etwas nervös. Dann, endlich! Einzug der Gladiatoren. Vorne weg stürmen zwei Leibwächter mit "Schrank-Statur" und machen den Weg frei. Hinterher in flinkem Schritt Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Vize, Innenminister Thomas Strobl. Seitlich und hinterher noch mehr Leibwächter. Es folgen der Oberbürgermeister und der Landrat. Der OB begrüßt und dankt dem hohen Besuch aus Stuttgart sowie dem Ulmer Polizeipräsident Bernhard Weber und Biberacher Landrat Mario Glaser für ihr Kommen. Hierzu in seiner Rede: "Dass Sie beide da sind, (Kretschmann und Strobl, Anm. d. Red.) das ist ein demokratischer Ritterschlag, für diesen Abend und für unsere Stadt,..." Dann geht er auf die Geschehnisse am Aschermittwoch ein und verdeutlicht erneut, dass die Vorkommnisse des Aschermittwochs so ganz und gar nicht zu Biberachs Geschichte und zu den Biberachern passen:"...das war nicht Biberach, das war und ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich bei uns entladen hat."

Als nächstes steigt Ministerpräsident Kretschmann auf die Bühne und geht ans Rednerpult. Eine Helferin bringt für den Ministerpräsidenten einen Becher heißen Tee. Wenn es in Biberach schon keine Froschkutteln für den Landesvater gibt, dann wenigstens eine Tasse Tee...

Ministerpräsident Kretschmann

Bei Kretschmanns Rede wird vermutlich jedem schwäbisch sprechendem Zuhörer warm ums Herz. Mit ausgeprägt schwäbischer Einfärbung spricht Kretschmann über Biberachs Geschichte, die Reformation, die paritätische Nutzung der Stadtpfarrkirche Sankt Martin durch beide Konfessionen, den Bauernkrieg und kommt hierüber zu den Ausschreitungen des Aschermittwochs. Diese seien nicht typisch für Biberach: "Ein Ausreißer!" Ferner sagt er, "wir müssen dem Anderen seinen Raum lassen, es gilt das Toleranzgebot!" Er weist darauf hin, dass Demokratie und Rechtstaat verteidigt werden müssen, was vom Publikum mit kräftigem Applaus quittiert wird. Kretschmann erwähnt ferner, dass häufig seine Partei angegriffen wird. Gibt dann aber auch schmunzelnd zu: "Manchmal bringt mich meine Partei selbst auf die Palme." Zeitgleich zu den Ausschreitungen am Aschermittwoch am 14.2. vor der Stadthalle fand eine angemeldete, legale Bauern-Demo in Biberach auf dem Gigelberg statt, die ordentlich ablief. Dazu gibt Kretschmann die Erfahrung mit auf den Weg: "Man demonstriert nicht umsonst. Solch eine (legale - Anm. der Red.) Demonstration hat Erfolg..." Na ja. Die megagroßen, erfolglosen Demos in der Landeshauptstadt gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 widerlegen diese seine These. Aber, Kretschmanns Rede war kurzweilig und intelligent.

Innenminister Thomas Strobl, wie immer im grauen Trachtenjanker gekleidet, kann mit seiner anschließenden Rede Kretschmann nicht das Wasser reichen, wirkt spröde und steif.

Innenminister Strobl (Links) und Polizeipräsident Weber (Ulm) (rechts)

Zu Beginn versucht er sich bei den Biberachern einzuschmeicheln, indem er die schöne Landschaft und das dortige gute Bier lobt. Blöd nur, dass alle traditionellen Brauereien hier längst dicht gemacht haben - Das Café Weichhardt dürfte es gefreut haben, als einzige Minibrauerei der Stadt. Sei´s drum. Als er die Gewalt gegen die Polizei anprangert, brummelt im Publikum einer mehrmals unverständlich dagegen. Die Leibwächter links und rechts der Bühne schauen auf. Als Strobl allen Polizisten dankt, welche für jeden "den Kopf hinhalten", brandet ein langer Applaus auf. "Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich! Demokratie braucht Demokraten!"

Glaser, Kretschmann, Zeidler, Strobl und Weber nehmen nun auf der Bühne in braunen Ledersesseln Platz. Jetzt hat Gerd Mägerle, Redaktionsleiter der Schwäbischen Zeitung Biberach, seinen Auftritt. Er moderiert und stellt Fragen an die prominenten Gäste. Als erstes kommt der Ulmer Polizeipräsident Weber dran. Dieser nutzt diese Gelegenheit um äußerst ausführlich den Tagesablauf am Aschermittwoch darzulegen. Alles in allem: Nichts Neues. Sein Fazit: Die Veranstaltung der Grünen hätte aus seiner Sicht nicht abgesagt werden müssen und schiebt damit in diesem Punkt den "Schwarzen Peter" den Grünen zu. Kretschmann zeigt sich erneut selbstkritisch, indem er zugibt, dass sein Fernbleiben von den Protesten in Biberach ein Fehler war und: "Dass man guckt, was ist da los." Dass er auf dem Weg nach Biberach umgekehrt ist, "das würde ich heute nicht mehr so machen." Interessant wird es, als Mägerle die Frage an Innenminister Strobl richtet, ob bezüglich der Protestform und den damit verbundenen Gesetzesbrüchen bei den Bauern mit zweierlei Maß gemessen wurde - im Vergleich zum Beispiel zu den Klimaklebern, bei denen würde härter durchgegriffen. Strobl: "Klipp und klar, nein!... Bei den Klimaklebern und den Landwirten gilt das gleiche Recht." Das darf zumindest in Teilen schon angezweifelt werden.

Gegen Ende der Veranstaltung werden ein paar wenige Fragen aus dem Publikum zugelassen. Diese bringen nichts Neues oder Wichtiges hervor. Das Schlusswort obliegt Landrat Glaser. Eine etwas undankbare Aufgabe. Das Publikum ist mittlerweile teils müde und erschöpft und Manche verlassen bereits den Saal. Glaser zitiert in seiner abschließenden Betrachtung den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: "Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen."

Podiumsteam - im Vordergrund Promis: CDU MdB Rief, Reinhalter und Alt-Ob Hoffmann

Um 20 Uhr 45 ist die Veranstaltung nach über 2 Stunden und 10 Minuten beendet. Die Politikprominenz steht zum Schwätzchen noch ein bisschen auf der Bühne. Als ermatteter Besucher draußen angekommen, erblickt man oben am Himmel wieder "Big Brother" in Form eines Hubschraubers, welcher rot leuchtend über dem nördlichen Stadtgebiet schwebt. Unten, vor der Halle, ist alles gleißend hell ausgeleuchtet. Das Technische Hilfswerk leistet Amtshilfe und hat mehrer Lichtmasten aufgestellt, deren Generatoren vor sich hin brummen. Die pflichtbewussten Polizisten am unteren Ausgang lassen einen wieder nicht raus, so dass erneut ein Umweg nötig ist, um aus der Umzäunung rauszukommen. Aber ein kleiner Spaziergang an der nachtklaren Luft hat nach über zwei Stunden intensiven Zuhörens eine erfrischende Wirkung. (Beitrag und Bilder von Albert Gratz, ein Dankeschön!)

Nach der Veranstaltung...

Noch ein interessantes Detail (Gaspard Hauser, Nachtrag) - Polizeipräsident Weber berichtete, dass der Zollstock, der das Fenster eines Regierungsfahrzeuges beschädigt hat auf dem Rücksitz des Fahrzeuges gelandet sei und in dem Fahrzeug drei Personen gesessen hätten. Sämtlich Sicherheitskräfte. Der Meterstab sei sichergestellt worden... Das hätte man vielleicht auch schon mal früher mitteilen können. Der mutmaßliche Werfer sei identifiziert.