Heute: 08. Juni, 2025

BW-Verkehrsminister Hermann: 100 Milliarden Euro und langer Atem, nur so ist die deutsche Bahn zu sanieren!

BW Verkehrsminister Winfried Hermann (Foto: Albert Gratz)
von
vor 4 Monaten

Volles Haus in der Stadtbuchhandlung gestern Abend (12.02.) um 19 Uhr. Rund 60 Menschen warten auf die „Lesung“ von Winfried Hermann, Verkehrsminister hier in Baden Württemberg. Und natürlich ist das eine Wahlveranstaltung der Grünen zur Bundestagswahl. Logisch. Aber letztlich ist das dann doch ziemlich egal, denn Hermann ist ein launiger und informativer Redner. Das Vorlesen aus dem Buch „Und alles bleibt anders…“ findet natürlich schon statt, ist aber letztlich weniger spannend als die lockere Diskussion, die immer wieder zwischendrin stattfindet. So bleiben einige Fakten hängen:

Alle Fotos: Albert Gratz für Weberberg.de

Hermann hält eine kurzfristige Sanierung der deutschen Bahn für absolut unmöglich, das dauere Jahre, koste 100 Milliarden Euro – nur durch einen Sanierungsfond bezahlbar – und man brauche einen langen Atem. „Das modernste im Bahnkonzern waren jahrelang die Handys der Kontrolleure“ sagt Hermann so nebenbei. Dann räumt er auf mit dem Vorurteil, er sei ein „Autohasser“ und gesteht, dass er durchaus Autos möge, ja früher sogar geliebt habe, wie alle in dieser Zeit so um die 60er und 70er Jahre. Sein erstes Fahrzeug war ein Ford Taunus (vom Vater übernommen, der einen neuen Audi 100 kaufte). In Baden Württemberg gebe es rund 6 Millionen Arbeitsplätze, noch seien 500 000 praktisch direkt oder indirekt mit der Fahrzeugindustrie verbunden. Allerdings sei die Frage ob man sich in Baden Württemberg nicht darauf einstellen müsse sich über kurz oder lang „vom Autoländle“ verabschieden zu müssen. Möglicherweise sei diese Zeit sich allein aufs Autobauen zu konzentrieren vorbei.

Hermann kommt auf den Verkehr zu sprechen und kommt zum Schluss, dass das Auto letztlich auch totes Kapital sei, es stehe 23 Stunden einfach nur rum. Insgesamt seien maximal 10 Prozent der Autos gleichzeitig unterwegs. Schon bei 15 % gäbe es Stau – da geht dann nichts mehr.

Mehr Straßen oder größere Straßen seien nicht grundsätzlich eine Lösung oder Verbesserung. Er berichtet über die B27 zwischen Stuttgart und Tübingen. Früher ein Nadelöhr (zu Zeiten seines Referendariates in Stuttgart als Gymnasiallehrer), weil ein- bis zweispurig, dann ausgebaut zu vier Spuren, „wie eine Autobahn“, kurz „freie Fahrt“ und heute wieder ein Nadelöhr, „täglich Stau“. Mehr Straße führt zu mehr Verkehr, stellt er fest. Dann ein Hinweis auf Stuttgart, dort, berichtet er, gebe es eine Aktion um Schüler und SchülerInnen dazu zu bringen allein zur Schule zu gehen. Weg von der „PrinzessInnen“ Anlieferung, dem „Prinzen“-Shuttle. Die Kinder würden zunehmend dazu erzogen sich nicht mehr selbst zur Schule zu bewegen, wenn sie erwachsen werden bleibt das Auto erste Wahl.

Hermann liebt das Fahrradfahren, es sei ein geniales Fortbewegungsmittel. Letztlich – und das sei eigentlich das wichtigste – halte Bewegung auch gesund. Da sind sich die vorwiegend ökologisch orientierten Besucher ebenfalls einig. Die Altersstruktur der Zuhörer: Eher über 40. Zwischendrin mal wieder ein paar Seiten aus dem Buch. Hermann beschreibt das Aufwachsen auf dem Land, dann ein wenig über die Tübinger Studentenzeit und schließlich wird es schmerzhaft für die nicht Anwesenden: Die Stadtverwaltung, den OB und die Tuchhändler am Markt. Anja Reinalter (Grüne MdB) und Joe Weber (Grüner Stadtrat) haben mit dem Thema keine Probleme: Grüne Innenstadt.

Hermann stellt fest, dass Innenstädte zu Abstellräumen für Autos verkommen sind, statt Lebensqualität zu bieten. „Autos gehören in Garagen, Tiefgaragen oder Parkhäuser“. „Straßen und Plätze sollten in Städten Lebensraum bieten“. Aus dem Publikum kommt der Hinweis darauf, dass viele Einzelhändler da ablehnend reagieren und viele es gerne hätten, „wenn der Kunde bis ins Geschäft hineinfahren könnte.“ Hermann bestätigt, dass da viele beratungsresistent sind. Letztlich würden sämtliche Studien bestätigen, dass Fahrradfahrer und Fußgänger mehr einkaufen würden als Autofahrer. Verkehrsberuhigte Zonen wie die Königstraße in Stuttgart – Fußgängerzonen – seien hochpreisige und beste Verkaufszonen, umsatzstark. Niemand käme auf die Idee diesen Bereich in Stuttgart wieder zur Parkzone oder Durchfahrtsstraße zu machen.

Corinna Palm (Stadtbuchhandlung) & BW Verkehrminister Hermann (Foto: Albert Gratz)

Einzelhändler sollten eher darüber mal Nachdenken, warum sie keinen Bringservice für gekaufte Waren anbieten. „Das wäre doch eine Möglichkeit“, wenn man Angst habe dass der Kunde Gekauftes nicht mitschleppen möchte. Letztlich dann noch der Hinweis, dass es tatsächlich so sei, dass man in ländlichen Gegenden deutlich empfindlicher sei, was Entfernungen angehe. Das würden Untersuchungen belegen. Dort fahre man schon mal für 500 Meter mit dem Auto. In Großstädten käme niemand auf die Idee in einer 1,5 km langen Fußgängerzone wie der Königstraße mit dem Auto fahren zu müssen.

Fazit: Ein unterhaltsamer und aufschlussreicher Abend mit BW-Verkehrsminister Winfried Hermann. Die Tonanlage war ein wenig unterdimensioniert, ganz hinten wars etwas leise, man hatte offensichtlich nicht mit so viel Publikum gerechnet.

Schreibe einen Kommentar