Ein Beitrag von Albert Gratz und Egon Cappa
Donnerstag, 24.07.2025: Amtsgericht Biberach, draußen strömender Regen trotz Schützenfestwoche. Drinnen im Gerichtsgebäude machen die zwei Reporter von Weberberg.de ein langes Gesicht. Gerade haben sie erfahren, dass die für 13:30 Uhr angesetzte Verhandlung ausfällt. Der Angeklagte Peter E. hat auf den letzten Drücker seinen Einspruch gegen den erhaltenen Strafbefehl zurückgezogen und eine damit verhängte Geldstrafe akzeptiert. Um 15:00 Uhr geht es dann weiter. Auf der Anklagebank sitzt dieses Mal der 27-jährige Bauhelfer Kevin S., unscheinbar und in sich zusammengesunken. Er hat keinen Strafbefehl erhalten, sondern sofort eine Vorladung zur Hauptverhandlung. Ihm wird vorgeworfen Landfriedensbruch begangen zu haben in Tateinheit mit Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Und, das gab es bisher bei all den Prozessen noch nicht: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Kurz: Kevin S. soll am Aschermittwoch 2024 vor der Stadthalle Biberach den Hitlergruß gezeigt haben.

Eine Passantin, welche den politischen Aschermittwoch der Grünen besuchen wollte, hat Kevin S. dabei gefilmt wie er den Arm zum Hitlergruß hebt. Die junge Frau war so mutig und hat diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt und sagt nun als Zeugin aus. Sie sei schon mehrmals beim politischen Aschermittwoch der Grünen gewesen. Aber über die aggressive und bedrohliche Stimmung im Jahr 2024 sei sie sehr schockiert gewesen. Kevin S., welcher ohne Rechtsbeistand erschienen ist, schüttelt beim Vorwurf, er habe den Hitlergruß gezeigt, mehrmals den Kopf. Später erklärt er, das sei doch kein Hitlergruß gewesen.

Hierzu müsse doch mit der anderen Hand zusätzlich ein Hitlerbärtchen angedeutet werden. Diese Aussage kann Richterin Kienle nicht akzeptieren. Der Angeklagte gibt zu, dass er die Fahrzeuge vom damaligen Bundesumweltminister Özdemir blockiert hat, und dass das auch von ihm so beabsichtigt war. Beim Verlesen der entsprechenden Anklagepunkte durch Staatsanwältin Henninger nickt er bejahend mit dem Kopf. Ansonsten kann er sich nicht mehr näher daran erinnern, da alles bereits so lange her sei. Zudem habe er am Aschermittwoch, nach den Ausschreitungen, viel Alkohol getrunken, was sein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt habe.
Kevin S. ist der Justiz kein Unbekannter. In früheren Verfahren wurde er bereits wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Diebstahl und Urkundenfälschung verurteilt.
Im Gerichtssaal sitzen wie immer auch Unterstützer der Angeklagten, manche davon aus der Querdenkerszene. Eine Besucherin, welche als Stammgast bei allen Verhandlung anwesend ist, stört wiederholt mit lauten Kommentaren den Prozess. Richterin Kienle droht ein Zwangsgeld an und lässt den Vorfall im Protokoll festhalten.
Staatsanwältin Henninger fordert aufgrund der zahlreichen Vorstrafen von Kevin S. eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 60 Euro. Richterin Kienle hält in ihrer Urteilsbegründung dem Angeklagten zugute, dass er überwiegend geständig ist. Für das Festsetzen der Strafe erkundigt sie sich nach dessen finanzieller Situation. Dabei erfahren die Zuhörer, dass er über keinen Berufsabschluss verfügt und als ungelernter Bauhelfer arbeitet. Letztendlich verkündet Kienle ihr Urteil: 140 Tagessätze zu je 70 Euro, also 9800 Euro zuzüglich dem Begleichen der Verfahrenskosten. Innerhalb einer Woche kann der Angeklagte noch Berufung dagegen einlegen.
Am nächsten Morgen, Freitag, findet eine weitere öffentliche Hauptverhandlung statt. Angeklagter ist David M., 28 Jahre alt und von Beruf Landmaschinenmechaniker mit Meistertitel.

Wohnhaft in einer kleinen Gemeinde im Landkreis Biberach. Neben seiner beruflichen Tätigkeit hilft er seinem Vater regelmäßig im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Er kommt mit Rechtsanwalt Jakob Ramsauer, welcher zu Beginn sogleich für seinen Mandanten ein Geständnis abgibt. Ansonsten spricht der Angeklagte aber überwiegend selber. David M. hat einen Strafbefehl erhalten und gegen diesen Einspruch erhoben. Anklagepunkte sind auch in diesem Fall Landfriedensbruch in Tateinheit mit Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. M. präsentiert sich als Mitläufer. Er erzählt, seine Kollegen aus der Landwirtschaft hätten ihn gedrängt, ebenfalls nach Biberach zur nicht angemeldeten Demo beim politischen Aschermittwoch der Grünen zu fahren. Ansonsten wäre er nicht zum Demonstrieren gegangen. Von der legalen Demo auf dem Gigelberg habe er nichts gewusst. Der vorsitzende Richter Peter Philipp fragt ruhig aber bestimmt beim Angeklagten nach. Zuweilen unterbricht er auch dessen Ausführungen und präsentiert seine Vermutungen wie es am Aschermittwoch 2024 tatsächlich gewesen sein könnte. Für die Beweisaufnahme möchte Richter Philipp polizeiliche Videoaufnahmen vorführen und anschauen. Doch auch dieses Mal funktioniert die Technik im Saal zuerst einmal nicht. Eine Mitarbeiterin aus dem Hause wird zur Hilfe gerufen. Das Publikum muss während der Fehlerbehebung den Saal verlassen. Nach gefühlt einer halben Stunde geht es weiter. Anhand der Videofilme rekonstruiert Richter Philipp das Verhalten des Angeklagten bei der Blockade zweier Begleitfahrzeuge des damaligen Bundeslandwirtschaftsministers in der Theaterstraße. David M. war nicht nur kurz und am Rande bei der Blockade, sondern über einen längeren Zeitraum und habe sich dabei sogar nach vorne in die erste Reihe der Blockierer vorgearbeitet, befindet Richter Philipp. Deshalb passe sein Verhalten nicht zu seiner Erklärung. Philipp nimmt ihm deshalb die Entschuldigung nicht ab. Als Zeuge wird ein Truppführer der Bereitschaftspolizei aus Göppingen in den Saal gerufen. Dieser erläutert auf Nachfrage des Richters die Gefährlichkeit von Bengalischen Feuern, was eigentlich nicht direkt etwas mit dem Angeklagten zu tun hat, da dieser bewiesenermaßen keines gezündet hat. David M. entschuldigt sich bei dieser Gelegenheit dennoch, als erster von allen bisherigen Angeklagten bei dem Polizisten für sein Verhalten.
Freiherr von Lüttwitz, seines Zeichens Autor einer der AfD nahestehenden Internetzeitung und ebenfalls in einem Aschermittwochs-Prozess verurteilt (Weberberg.de hat hierüber berichtet), ist fast jedes Mal als Besucher anwesend. Er versucht während der Verhandlung an Richter Philipp eine „Presseanfrage“ zu stellen. Philipp ist davon wenig erfreut und droht: „setzen sie sich, sonst lasse ich sie rauswerfen!“

Staatsanwalt Abt fordert wie bereits im Strafbefehl eine Strafe in Höhe von 100 Tagessätze zu je 60 Euro. Damit wäre der Angeklagte vorbestraft. Rechtsanwalt Ramsauer erklärt in seinem Plädoyer, wie eine eingetragene Vorstrafe den weiteren beruflichen Aufstieg seines Mandanten gefährden würde, was vermutlich auch der Grund seines Einspruches war. Ramsauer bittet im Namen seines Mandanten um die Milde des Gerichtes. Nun gewährt Richter Philipp dem Angeklagten das letzte Wort. Dieser nutzt diese Chance für eine Entschuldigung bei den Bürgern und beim Oberbürgermeister der Stadt Biberach.
Nach einer kurzen Prozesspause folgt das Urteil: Richter Philipp wertet das Geständnis und die gezeigte Reue des Angeklagten als authentisch und verhängt eine Strafe von 90 Tagessätzen zu je 60 Euro und bleibt unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Dadurch wird der Strafbefehl nicht in einem Führungszeugnis aufgeführt und behindert eine Bewerbung für eine Führungsposition nicht. David M. zeigt sich sehr erleichtert und verzichtet daraufhin auf das Einlegen weiterer Rechtsmittel. Staatsanwalt Abt stimmt diesem Vorgehen zu und somit ist das Urteil bereits jetzt rechtskräftig.